10.12.2017 - 2. Advent

Thema: Das Leben und der "gute" Tod?

 

Jesaja 63, 15.16.19b; 64, 1-3

 

15 So schau nun vom Himmel und sieh herab von deiner heiligen, herrlichen Wohnung! Wo ist nun dein Eifer und deine Macht? Deine große, herzliche Barmherzigkeit hält sich hart gegen mich.

16 Bist du doch unser Vater; denn Abraham weiß von uns nichts, und Israel kennt uns nicht. Du, HERR, bist unser Vater; »Unser Erlöser«, das ist von alters her dein Name.

17 Warum lässt du uns, HERR, abirren von deinen Wegen und unser Herz verstocken, dass wir dich nicht fürchten? Kehr zurück um deiner Knechte willen, um der Stämme willen, die dein Erbe sind!

18 Kurze Zeit haben sie dein heiliges Volk vertrieben, unsre Widersacher haben dein Heiligtum zertreten.

19 Wir sind geworden wie solche, über die du niemals herrschtest, wie Leute, über die dein Name nie genannt wurde.

Ach dass du den Himmel zerrissest und führest herab, dass die Berge vor dir zerflössen,

64

1 wie Feuer Reisig entzündet und wie Feuer Wasser sieden macht, dass dein Name kundwürde unter deinen Feinden und die Völker vor dir zittern müssten,

2 wenn du Furchtbares tust, das wir nicht erwarten, und führest herab, dass die Berge vor dir zerflössen!

3 Auch hat man es von alters her nicht vernommen. Kein Ohr hat gehört, kein Auge hat gesehen einen Gott außer dir, der so wohltut denen, die auf ihn harren.

 

1.       Einleitung

Als ich letzte Woche auf dem Hospizkongress in Gießen war, fiel mit etwas auf. Der 5. Hospizkongress der Uni Gießen war überschrieben:
Sterben in Krankenhäusern und stationären Pflegeeinrichtungen.

Es waren über 350 Wissenschaftlicher, Mediziner, Psychologen, Studierende, wenige Theologen und Pflegepersonal ebenso vertreten wie ehrenamtlich Mitarbeitende.

Es wurde höchst wissenschaftlich, sehr konkret und anschaulich berichtet. All jene, die sich mit dem Sterben und Tod als Alltagserfahrung und durch den Beruf sich wiederholende Erfahrungen beschäftigen oder eben beruflich beschäftigen müssen, sind - sofern nicht völlig abgestumpft - immer in einer emotionalen Zerrissenheit zwischen dem, was Leben ausmacht, dem, wie man das Sterben als Danebenstehender erleben muss und dem, wie man selbst mit dem Tod als irreversibles Ereignis umgeht. Die Debatten des Kongresses waren auch funktional aufgeladen.

Das bedeutet, dass wir uns ebenso wie über die Frage, was ist gut sterben unterhalten haben wie auch über die Kosten des Sterbens im Krankenhaus oder Pflegeeinrichtungen, die Art der Ausbildung zu einem Palliativpflege, zur Fragen wie man häuslich sterben kann und vieles mehr.

Dabei ist es wie mit allem. Sofern man sich ungeachtet der aktuellen Situation über etwas unterhält, erscheint es auf den ersten Blick kalt, herz- und lieblos. Das ist es aber nicht. Denn wie wir problemlos seit Bismarck die letzte Lebensphase durch Krankenversicherung, durch Rentenzahlungen, durch Pflegeversicherung und selbst durch eigenfinanzierte Sterbeversicherungen organisieren - und zwar gesellschaftlich organisieren müssen, so können wir auch den Umgang mit Sterben, besser den Menschen, die sterben, besprechen, organisieren und - vielleicht - planen. Das Sterben zu planen, das hört sich schlimm an. Aber was ist die Ambulante Pflege mit Sterbebegleitung anders. Die meisten Menschen wollen zuhause sterben. Und die Wenigsten sterben wirklich zu Hause. So wird deutlich, dass der Wunsch häufig nicht erfüllt wird. Denn ca. 40% der Menschen sterben in Krankenhäusern, 30 % in Pflegeheimen. Nur 3% sterben in der eigenen Wohnung. Den häufig werden Letztmaßnahmen von Ärzten veranlasst, damit noch ein siechender Mensch noch reanimiert wird. Ich rede nicht von Notfällen, sondern von Sterbenden im letzten Stadium. Wie mein Vater letztes Jahr, den wir nicht mehr in einen Krankenwagen verfrachtet haben und auf der Gasse dann hätten sterben lassen. Weder dem Sterben, dem Röcheln, den Aussetzern des Atmens hilflos zuzusehen - all das ist nicht einfach. Aber auch die Entscheidung ist nicht einfach, nicht zu transportieren.

Und Apropos Sterbeversicherung: Ich als evangelischer Pfarrer darf hier allen und jedem und mir selbst versichern, dass ich sterben werde.

Der Kongress überschritt häufig die Grenze zum rein Funktionalen. Dem geplanten betrachten von außen: Wie, was, wo sterben zu organisieren sei. Der "gute Tod" was ein Slogan, der fast alle Beiträge durchzog.

Aber was ist ein Guter Tod, ein friedliches Sterben? Ist es nicht so, dass wir alle letztlich auf Sterben biologisch programmiert sind? Was ist das, was wir als Sterben bezeichnen?  Ist jedes Leben nicht automatisch ein Sterben auf Raten? Sicher, man funktionalisiert das faktische Sterben auf eine Lebenssituation um die 90 Jahre aber keinesfalls mit 15, 35, 55, oder 65. Und wenn - ich wage mich mal weit voraus: Ist eigentlich unser Leben funktional gesehen nichts anderes ist als EIN WARTEN AUF DEN TOD.

O.k. Dazwischen machen wir und ich mich selbst höchst wichtig und stresse mich und andere, um das Warten erträglich zu machen.

Auf den Tod zu warten, und so stellt sich die Frage, was macht diesen Zeitraum von heute bis zum eigenen Tod eigentlich aus.

Wenn die Zeit dazwischen, zwischen heute und unserem Tod warten bedeutet, wie nutzen wir diese Zeit des Wartens, um passiven Geschöpfen, aktive Handlungsreisende der eigenen Lebenszeit zu machen.

Bei manchen sind Märchen wieder an die Stelle der Hoffnung über den Tod hinaus getreten. Twilight: In dem sich Bella zu einem blassen Vampir beißen lässt und bei Herr der Ringe: Gandalf Pippin den Tod Durchgang durch Silbernes Glas zu weißen Strände mit einem grünen Land verspricht (Text siehe unten; hier als Video).

2.       Bibeltext

Aber bevor wir uns der aktuellen Mythen zuwenden, schauen wir mal in den heutigen Predigttext im Jesaja Buch. Er beschäftigt sich mit der Frage nach dem Leben und dem Tod und dem, wie wir Menschen Erlösung finden. Text: Jesaja 63, 15-16.19b.64,1-3.   

Twilight und Herr der Ringe sind sicher den Jüngeren durchaus bekannt. So will ich in das Ältere der Mythen kurz einführen.

Unter dem Buch Jesaja sind drei Zeitepochen zusammengefasst.

Im ersten Hauptteil (Kap. 1-39) wird vom eigentlichen Jesaja als einem Prophet gesprochen, der  um 740-700 vor Christus in Israel lebte und den getrennten Reichen Israel und Juda, den Kampf mit dem mächtigen Assyrerreich vorhersagt.

Im zweiten Hauptteil des Buches Jesaja (40-55: Deutero-Jesaja, der zweite Jesaja) wird von der Zeit der Gefangenschaft des Volkes Juda in Babylon um 545 vor Christus berichtet.

Und im dritten Hauptteil (56-66), der unseren heutigen Predigttext enthält wird Trito-Jesaja, der dritte Jesaja genannt.

Hier geht es um die Zeit nach der Befreiung aus der Babylonischen Gefangenschaft also nach 539, also als Babylon von den Perser (Xerxes) erobert wird und die Juden wieder in ihr Land dürfen.

Der dritte Jesaja schreibt um die Zeit des Tempelneubaus um 520 vor Christus. Zentral für die Botschaft Tritojesajas ist die Frage nach der Zukunft Jerusalems, die Tochter Zions genannt wird und damit die Heilsverheißung in sich trägt. Zion - der Name stammt von einer Burg ab, die vor der Eroberung Jerusalems durch David bestand. Im Lauf der Zeit wurde ZION als Begriff für den Wohnort Gottes verwendet und "Zion" selbst als Tochter oder Braut Gottes verklärt.

Dem dritten Teil des Jesajabuches geht es also um das zukünftige Heil, um die Zeit der Erlösung. Als Erlösung VON DER Zeit, also der Wartezeit auf Gott, die unser Leben umfängt.

Und es geht nicht um eine Harmonie-Säußelei für weiße Strände, grüne Länder, Tod als silbernes Glas oder eine Bella Swan ewige Liebe. Sondern es geht um das Zeit der Erkenntnis, dass die Wartezeit des Menschen mit der Ankunft Gottes aus dem Himmel erfüllt wird.

Da wir das Wasser kochen, die Berge zerfließen und letztlich werden alle Völker und alle Menschen zittern, weil die Angst vor dem Herrn offenbar wird. Nix mit Lustig. Nix mit grüne Ländern und weißen Stränden. Vor allem nix mit unserem selbstzufriedenen Warten im Leben.

Der Himmel, der Tod kommt mit Macht und mit Anspruch - nicht mit einem leisen Säuseln des Windes oder einer Panflöte. Auch wenn diese Lieder, Musik oder Texte uns bei Bestattungen beruhigen. Auch wenn wir den gleitenden Übergang, also einen "guten Tod" erhoffen, in dem wir friedlich sterben. Der Predigttext raubt diese Illusion, in die wir uns immer noch und immer wieder hinein begeben.

3.       Christus als Erfüller der Erlösung für uns

Als Christen nehmen wir diesen Gerichtsgott des Jesajabuches bewusst auf. Wir verharmlosen oder verniedlichen weder Kreuzigung noch Martyrium noch Leiden. Nix mit Plätzchen. Nix mit Kerzchen. Kein Marzipan!

Wir als Christen können uns nur einer Sache gewiss werden. Es wird übel. Es kommt übel und es bleibt übel.

Und allein das Pallium, (lat. Mantel) der Mantel Gottes in Christus kann uns umgeben. Palliativ - lateinisch: mit einem Mantel geschützt - kann unser Leben nur sein, wenn wir den Mantel Christi erhalten. Keinen halben Mantel wie bei dem Soldaten Martin. Voll, ganz, gänzlich ummantelt zu sein mit der Tat, die Christus für uns, für dich, für mich tut. Das ist allein die Rettung vor dem siedenden Wasser und den zerfließenden Bergen. Ein anderes gibt es nicht .

Und insofern stellt sich die Frage nach der Wartezeit. Der Zeit zwischen jetzt und dem Tod, dem Warten auf das Ende.

Wie verbringen wir diese Zeit? Wie nutzen wir diese Zeit? was Tun wir? Wann? Wo? Für wen? Wie? Und mit welcher Leidenschaft, dass Christus uns die Zukunft schenkt?

4.       Heute

Palliativmedizin, Palliativpflege - also eine Pflege die uns ummantelt und schützt. So die Idee. Die SAPV, Spezialisierte ambulante Palliativversorgungen wie von den Ärzten, Pflegenden und Ehrenamtlichen vom Leuchtturm in Groß-Gerau um Dr. Braun, der auch hier in Raunheim Menschen zuhause medizinisch, pflegend betreut.

Und doch: Aus unserer Sicht als Evangelische reicht diese Ummantelung niemals aus. Menschen in den Tod zu begleiten, sicher ist das eine - auch für uns wichtige Aufgabe. Eines dürfen wir aber nie vergessen. Es geht nicht um einen "schönen Tod" oder eine ummantelte Begleitung. Die wesentliche Frage ist die nach der Erlösung. Die Frage wie der Heidelberger Katechismus so brillant in seiner ersten Frage beantwortet:

Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben?

Dass ich mit Leib und Seele im Leben und im Sterben nicht mir,
sondern meinem getreuen Heiland Jesus Christus gehöre

Er hat mit seinem teuren Blut für alle meine Sünden vollkommen bezahlt
und mich aus aller Gewalt des Teufels erlöst; und er bewahrt mich so,
dass ohne den Willen meines Vaters im Himmel kein Haar von meinem Haupt kann fallen, ja, dass mir alles zu meiner Seligkeit dienen muss.

Darum macht er mich auch durch seinen Heiligen Geist des ewigen Lebens gewiss und von Herzen willig und bereit, ihm forthin zu leben.

Dies ist unsere Aufgabe, vertrauensvoll in die Zukunft zu blicken und die Erlösung als Geschenk anzunehmen; und nicht erst wenn wir siechend liegen.

Es ist unsere Aufgabe ab dem ersten Atemzug, in Taufe, Erziehung, Kita, Konfi, Kigo, Jugend, Erwachsenenarbeiten im KV und letztlich auch bei denen, die unheilbar erkrankt sind und bald sterben, evtl. früher als wir sterben werden. Die Aufgabe ist diese Wartezeit zu füllen. Zu füllen mit dem, was uns geschenkt ist und wir beschenken können.

Denn was ist an einem guten Tod gut, wenn nicht der Tod selbst seinen Stachel verliert und überwunden wird. Die Hoffnung, diese Gewissheit ist die Aufgabe der Wartezeit. Sie darf Motor des eigenen Lebens sein; selbst wenn es sich nur um - wer weiß es - um Stunden oder Tage handelt.

Wie hast du die Zeit des Wartens genutzt? Das ist die Frage, die wir gerade in einer Zeit des Advents, der Erinnern an diese, seine Ankunft sehen, hören, fühlen, denken und letztlich auch entscheiden dürfen.

Denn - die Zeit die uns geschenkt ist - ist eine Zeit des Warten; und wie wir diese Warten nutzen - das ist die große Aufgabe

  

Amen

Herr, gib uns Zuversicht, dass wir uns nicht häuslich im Wartehäuschen des Lebens einrichten, sondern dass du uns leitest, stärkst und trägst über das Warten hinaus hinein in das Leben deiner Hoffnung. Amen.


 

 


 

 


 

Pippin:

Ich hätte nicht gedacht, dass es so enden würde.

Gandalf:

Enden? Nein, hier endet die Reise nicht. Der Tod ist nur ein weiterer Weg, den wir alle gehen müssen. Der graue Regenvorhang dieser Welt zieht sich zurück und verwandelt sich in silbernes Glas. Und dann siehst du es.

Pippin:

Was, Gandalf? Was sehe ich?

Gandalf:

Weiße Strände, und dahinter ein fernes grünes Land unter einer rasch aufgehenden Sonne.

Pippin:

Dann ist es nicht schlimm.

Gandalf:

Nein. Nein, ist es nicht.