2018.12.02 (Mt. 21, 1-11) Advent – Auf der Durchreise?

Mt 21, 1-9 Jesu Einzug in Jerusalem

1 Als sie nun in die Nähe von Jerusalem kamen, nach Betfage an den Ölberg, sandte Jesus zwei Jünger voraus

2 und sprach zu ihnen: Geht hin in das Dorf, das vor euch liegt. Und sogleich werdet ihr eine Eselin angebunden finden und ein Füllen bei ihr; bindet sie los und führt sie zu mir!

3 Und wenn euch jemand etwas sagen wird, so sprecht: Der Herr bedarf ihrer. Sogleich wird er sie euch überlassen.

4 Das geschah aber, auf dass erfüllt würde, was gesagt ist durch den Propheten, der da spricht (Sacharja 9,9):

5 »Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel und auf einem Füllen, dem Jungen eines Lasttiers.«

6 Die Jünger gingen hin und taten, wie ihnen Jesus befohlen hatte,

7 und brachten die Eselin und das Füllen und legten ihre Kleider darauf, und er setzte sich darauf.

8 Aber eine sehr große Menge breitete ihre Kleider auf den Weg; andere hieben Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg.

9 Das Volk aber, das ihm voranging und nachfolgte, schrie und sprach: Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!

10 Und als er in Jerusalem einzog, erregte sich die ganze Stadt und sprach: Wer ist der?

11 Das Volk aber sprach: Das ist der Prophet Jesus aus Nazareth in Galiläa.

 

1.      Einleitung

Die letzte Woche, also die letzte Woche im Kirchenjahr begann für mich etwas verstörend; mit zwei nicht zusammenhängenden Begebenheiten. Ich lag am Montagmorgen nach dem Ewigkeitssonntag etwas lümmelnd und länger als sonst im Bett. Wie Sie wissen, ist Montag der freie Tag der Pfarrer und wir arbeiten noch weniger als sonst. Also: ich lag also so im warmen Bett und machte mir Gedanken just über den heutigen Predigttext und was denn Advent heute noch bedeute.

Aufgeschreckt aus meinen Gedanken klingelt um 6:50 Uhr mein Telefon. Angezeigt wurde eine mir unbekannte Handynummer. Die Anruferin legte zunächst aber auf. Keine Minute später erneut dieselbe Nummer. Ein Hoch auf die Anrufumleitung aus Raunheim, die mich im warmen Bett im Hessischen Hinterland erreichte. Am anderen Ende der Funk-Draht-Weiterleitungs-Funkverbindung stellte eine Frau die Frage, ob und wann das Gemeindebüro heute offen sei. Sie wolle mal vorbeikommen und sei „auf der Durchreise“. Ich gab eine kurze Information und sie legte auf.

In meinem Hirn hallte es noch: „Ich bin auf der Durchreise“. Aufgelegt.

Sicher wollte diese Frau etwas an Essen oder Gutscheinen haben. Aber „auf der Durchreise“. Wann war ich das letzte Mal auf Durchreise? Es halte im Kopf und da ich nun eh aus der Meditation im warmen Bett geweckt, aber noch nicht aufgeweckt genug war, tapste ich ins Bad. Das warme Wasser schien zu rufen: „Auf der Durchreise“. Und der Kerl, der mich grimmig im Spiegel anstierte, war sicher auf der Durchreise so wie der aussah.

Da ich zudem mal spontan nach Bottrop bei Essen musste, machte ich mir nicht viel Gedanken; zunächst. Also mal aufbrechen und tanken.

Hier nun das zweite Erleben, Erwachen, Aufwecken am Montag: Ich wurde Zeuge eines Raubes von 10 Mio. Euro an der Tankstelle.

Ich stand in Hemdsärmeln bei 6° an der Tankstelle; und – sie glauben es nicht – 10 Million € wurden geraubt; vor meinen Augen. Und das ging ganz fix: Die Bedienung lief schnell raus zur Lotto-Reklametafel und nahm von 11 Mio. € einfach eine 1 weg. Statt 11 Mio. nur noch 1 Mio. € zu gewinnen. Einfach so. Einfach so - auf der Durchreise.

Es hallte in meinem Kopf: Ich bin auf der Durchreise. Und WIE kann man eigentlich ANKOMMEN, also Advent begehen, wenn man nicht aufbricht, wenn man eigentlich nicht ankommt, sondern durchreisen mal einen Stop einlegt? Wie kann man eigentlich ankommen, wenn man nicht aufbricht oder auf der Durchreise ist? Diese Frage hat mich dann die ganze Fahrt über nach Bottrop beschäftigt. Liegen möglicherweise wir hier und alle Theologen falsch, wenn Sie Advent als „Ankommen und Dableiben“ beschreiben und dabei den Gedanken der Durchreise, der Flüchtigkeit der Welt, der Erlebnisse und des Lebens nicht im Blick haben?

Wie dürfen wir eigentlich Advent, das Ankommen „feiern“, und zu einem unbeweglichen Fest machen, wenn wir dabei NICHT „auf der Durchreise“ denken, leben und Leben so wahrnehmen? Advent –  also kein dauerhaftes Ankommen, sondern das Bewusstwerden, dass wir auf der Durchreise sind. Wie kann man Ankommen, wenn man sich nicht mehr faktisch bewegt, wenn Traditionen versteinern, jährliches Blind wiederholt wird, immer die gleichen Kerzen abbrennen. Gibt es ein Ankommen, ein Advent OHNE auf der Durchreise zu sein? „Ich bin auf der Durchreise“ und die Millionen sind flüchtig – 200 km zum aufgeweckt werden.

2.      Bibeltext

Kommt Jesus an oder reist er durch? Ist das ganze Bohey des angeblichen Ankommens, des Advents von uns, die eh schon da sind, vielleicht nur ein Schwindel von uns selbst, uns Menschen; nur um nicht aufbrechen zu müssen?

Ich lese aus Matthäus 21, 1-9 (Einzug in Jerusalem)  

Jesus weiß sich in Szene zu setzen; oder?

Nicht einfach auf Sandalen über die staubige Straße nach Jerusalem hineingehen. Nein – Jesus produziert einen Auflauf, eine eindeutig inszenierten Auflauf. Und aus der letzten Bemerkung des Bibeltextes wissen wir, dass Jesu Ankommen und er selbst vielen Städtern unaufgeregt vorbei gegangen ist, diese Einzugsinszenierung.

Die Städter fragen: Wer ist denn das, der da scheinbar auf der Durchreise ist; quasi einer von vielen in der Weltstadt Jerusalem.

Matthäus hat dabei seine spezielle Theologie, also ein konkrete Betrachtungsweise in sein Evangelium eingetragen. Dabei spielen zwei Hoheitstitel und die Frage der jungen Christusgemeinschaft im Blick auf die Erwählung Israels eine besondere Rolle. In unserem heutigen Predigttext kommen diese beiden Schwerpunkt vor: Sohn Davids und Sohn Gottes.

Zunächst: Jesus wird mit Stammbaum als Davids Sohn und letztlich als (ein) legitimer Königsanwärter auf den Thron Israels angesehen. Das Volk - möglicherweise bestellte Claquere und Jesusanhänger - jubeln und huldigen beim Einzug wie einem König. Die Städter wissen von Jesus nichts. Und mit seinen Erfüllungszitaten verweist Matthäus auf die Verbindung zum Volk Israels. Formelhaft wie auch bei uns im Text: „Das geschah aber, auf dass erfüllt würde was gesagt ist.“ (Mt. 21,4). Aber der Sohn Davids wird von den Städtern Jerusalems abgelehnt, nicht von den Juden insgesamt. Matthäus versucht das Ankommen Jesu nicht als Inbesitznahme, als Thronbesteigung zu inszenieren, sondern vom Erfahrungswert der Schande am Kreuz, dem Schmachtod, der überschrieben ist mit „König der Juden“, eben dem Sohn Davids.

Letztlich wird aber alles Wirken und Ankommen in Jerusalem als nur eine einzige Botschaft: Jesus ist auf der Durchreise. Als Sohn Gottes, dem zweiten großen Begriff des Matthäus-Evangeliums (Taufe: dies ist mein Sohn, Mt. 3,17; Versuchung in der Wüste, und letztlich im Prozess vor dem Hohen Rat, 27, 40.42) wird die Dramatik deutlich. Jesus ist auf der Durchreise und kann weder von den Jüngern noch von den Oberen als Ankommender gehalten oder vernichtet werden.

3.      Christus

Sohn Davids, Gottes Sohn – der Christus, Messias – dies sind die Würdenamen des Jesus von Nazareth, der zwar ankommt, aber nicht verweilt. Dieser Gottes Sohn ist nicht fassbar, und in Gips in eine Grippe zu legen oder geschnitzt an ein Kreuz zu verbannen. Denn dieser Gottes Sohn ist ein Durchreisender, der ein größeres Ziel vor Augen und als Aufgabe hat.

Er ist schlicht ein Durchreisender durch das Leben und den Tod am Kreuz. Die Auferstehung ist Ziel für diese Reise des Gottes Sohnes. In der Auferstehung fassen die mutlosen Jünger wieder Kraft. Eine Kraft, die durch die Begegnung mit dem Auferstandenen, die Schmach, die Schande des verurteilten Schwerverbrechers komplett auf den Kopf stellte.

Jesu Ankommen als Durchreisender ist es, der „Advent“ in einem neuen Licht erscheinen lässt. Die Durchreise Jesu, die Transit-Gewissheit, dass Gott nach seinem wandernden Gottesvolk ruft, bestimmt Advent.

Gott kommt an, um ein Transit-Reisender zu sein.

Und jegliche Form der Verfestigung, der Bindung, der Inanspruchnahme dieses Gottes Sohnes für eitlen Tand, offenbart unser Dilemma hier.

4.      Heute

Was haben wir nicht alles gemacht, um diesen Transit-Reisenden hier allein bei uns zu verorten, in eine Grippe zu betten, in Glaubenssäulen und Riten zu pressen. Advent – es schallt im Kopf ohne Ende – ist ein Ankommen, NUR DANN WENN WIR uns auf den Weg machen. Niemand kann im Reich Gottes ankommen, der sich nicht auf den Weg macht; der nicht beginnt, der entscheidenden Veränderung der Geschichte zu folgen.

Das Verstörende am Montag für mich (Ich bin auf Durchreise) ist die Frage, was wir für einen ‚Zinnober’, einen unnützen und überflüssigen Tand aus Advent gemacht haben. Dieser Gottes Sohn ist so flüchtig, so unvereinnahmbar wie ein Durchreisender, ein Transit-Wesen. Eine Erscheinung, die wir nur flüchtig wahrnehmen werden können, wenn wir uns nicht zu viel mit dem HIER, dem JETZT verbandeln.

Ich bin auf Durchreise. Können wir diese Aussage überhaupt noch wahrnehmen, annehmen, akzeptieren, verstehen? Oder muss Gott dem Trubel weichen, den wir mit wohlfeilen und im Sinne Jesu mit derart unsinnigen Traditionen wie Bäume, Krippen und den ganzen Eseln darum machen? Christen sind Durchreisende ohne eine bleibende Stadt hier.

Wenn wir Advent als Verpflichtung zum Aufbruch, zum Mitgehen sehen, wenn Jesus mal eine Stippvisite vornimmt. Wo bleibt der Selbstbetrug, weil wir nicht glauben, aufbrechen zu müssen? Selbstbetrug, weil wir uns einrichten mit Tand und aufspielen als Herren der Welt? Selbstbetrug, weil wir uns schlicht niemals auf eine Reise begeben wollen, sondern den Stollen, den Glühwein, dieses Herzerwärmende Getöse der Städter uns  angeeignet haben?

Advent bedeutet also nicht Ankommen, sondern auf der Durchreise sein. Auf der flüchtigen Durchreise im Leben durch den Tod zum Ziel. Nicht Jesus kommt an, sondern wir machen uns auf zur Reise, als Transitgänger im Leben. Flüchtig wie die 10 Millionen am Montag. Durch den Austausch der 1 durch ein 2 wurden es dann wieder aus der 1 nun 12 Mio. Euro, die man gewinnen kann. Aber – niemand kann gewinnen, weder Geld noch das Leben in Christus, wenn er, sie, ich mich und ihr euch nicht auf die Reise macht.

Denn Jesus ruft uns zu: Hier seid wie ich NUR auf der Durchreise. Amen.

Herr Schenke Kraft und Mut, aufzubrechen, damit dein Ankommen, dein kurzes Verweilen, uns zum Sinn- und Vorbild wird. Amen.