2020.01.01 - 17 Uhr (Mk 9. 24 & Joh 14, 1-6): NICHT Verstehen & Glaubenshilfe

Jahreslosung Markus 9, 24: Ich glaube, Herr, hilf meinem Unglauben

Johannes 14, 1-6: Jesus, der Weg zum Vater

1 Euer Herz erschrecke nicht! Glaubt an Gott und glaubt an mich!

2 In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen. Wenn's nicht so wäre, hätte ich dann zu euch gesagt: Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten?

3 Und wenn ich hingehe, euch die Stätte zu bereiten, will ich wiederkommen und euch zu mir nehmen, auf dass auch ihr seid, wo ich bin.

4 Und wo ich hingehe, dahin wisst ihr den Weg.

5 Spricht zu ihm Thomas: Herr, wir wissen nicht, wo du hingehst; wie können wir den Weg wissen?

6 Jesus spricht zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.

 

1.      Einleitung

Philosophie kann auf unterschiedlichste Weise betreiben werden.

Philosophie treiben; als Treibstoff für Philosophie können die unterschiedlichsten Aspekte herangezogen werden: Wissen, Erkennen, Beobachtung, Sinne oder schlicht die Ruhe gelten. Die Philosophie hat seit je her ein Ziel; nämlich die Weisheit des Menschen zu fördern. Das heißt auch Philo-Sophie: die Weisheit lieben. Der Mensch soll als Mensch schlauer, intelligenter und letztlich lebensfähiger werden. Aber bekanntester Treibstoff der Philosophie, also der Lehre über die Weisheit ist die Frage, ob wir Wissen und Weisheit überhaupt besitzen können.

Ich weiß, dass ich nichts weiß. Dieser Satz wird dem altgriechischen Philosophen Sokrates zugeschrieben. Der Literat Cicero hat es etwas verkürzt. Eigentlich ist es eine falsche Übersetzung, denn Sokrates sagt: „οiδα οuκ εiδώς“, also „Ich weiß, dass ich NICHT weiß“. Ein „S“ ist ausgefallen. Also sagt Sokrates nicht, dass er NICHTS weiß, sondern dass er es nicht genau, exakt und vor allem VORURTEILSFREI weiß; also ihm das Wahre letztlich verschlossen bleibt. Uff – Sokrates hat also nicht gesagt, dass er strunzend dumm ist, bis darauf, dass er eben weiß, dass im letzten unwissend bleiben wird. Sokrates hat das NICHT (οuκ) und nicht das NICHTS (οuδεν) verwendet. Also ganz so doof war Sokrates nicht. Natürlich weiß er, was er weiß, aber alles Wissen ist lediglich scheinbar. Scheinbar – ein gespiegelter Schein, nie klar, eindeutig, offensichtlich.

Sokrates nimmt damit die Gedanken des Philosophen Xenophanes auf, der die Vermischung des Scheins, des Meinens und Interpretierens mit dem Sein verdeutlichen will. Alles, was wir (meinen zu) wissen, ist letztlich getrübt von Unkenntnis. Wir leben ja in einer Zeit, die von sich selbst behauptet, dass meiste Wissen angehäuft zu haben und letztlich schon alles wisse. Wir schließen von dem Erfassbaren, Sehbaren, dem was wir für real annehmen auf das, was scheinbar immer zu gelten habe.

Und hier wird es spannend. Denn letztlich schließen wir – vereinfacht ausgedrückt – von der Verpackung auf das Reale, den Inhalt zu schließen. Aber spielen wir uns nicht etwas vor, wenn wir meinen, dass das, was wir zu sehen glauben, zu hören meinen, zu lieben denken und sicher auf der Bank deponiert zu haben meinen, als das einzig Reale, Wirkliche und Tatsächliche ansehen und dies als unsere Weisheit und unsere Zukunft ansehen. Ist die Verpackung wirklich ein Hinweis auf den Inhalt? Ist die tolle Hochzeit ein Vorbote, wie die Liebe toll verläuft? Erfüllt das gekaufte, teure Auto, Haus oder Boot letztlich meine Vorstellungen und Erwartungen, mich und meine Gefühle und Weisheit zu befriedigen?

Ich weiß, dass ich nicht weiß, wie es sich entwickelt – so könnte man das Sokratische auf heute übertragen. Der Schein der Weisheit ist immer mit an Bord auf dem Weg in die eigene Denkzukunft.

Insofern ist das Nicht-Wissen eine wesentliche Triebkraft der Erkenntnis.

Diese Weisheit des Nicht-Wissens hat Karl Raimund Popper zu der umgekehrten Denkrichtung gemacht. Nicht das Wahre, siondern das Falsche gilt es zu suchen und zu finden, damit man nicht dem Schein der brüchigen Weisheit sich hingibt. Kritischer Rationalismus – so seine Philosophie - versucht Erkennen jenseits der Scheinwelt zu reduzieren, indem man immer nach dem Mangel einer Theorie oder Ansicht suchen müsse. Popper beschreibt den Kritischen Rationalismus als eine Art Lebenseinstellung, „die zugibt, dass ich mich irren kann, dass du recht haben kannst und dass wir zusammen vielleicht der Wahrheit auf die Spur kommen werden“. Es ist ein vorsichtiger Optimismus, der Alles Leben als Problemlösung beschreibt; ein „Auf der Suche nach einer besseren Welt“ darstellt.


 

2.      Bibeltext

Der heutige Bibeltext wird zeitlich eingerahmt in die Jahreslosung:

Markus 9, 24: Ich glaube, hilf meinem Unglauben. Joh 14, 1-6 lesen.

Johannes als Evangelist ist so ganz anders als die anderen drei biblischen Evangelien und die anderen 20 nicht biblischen Evangelien, die es noch gibt.

Johannes schreibt, denkt, fühlt, redet, sieht anders und nimmt anders wahr. Generell gilt, dass Johannes als Evangelist deutlich ausführlicher als die anderen Evangelisten schreibt. Bei Johannes redet Jesus viel mehr, detaillierter, länger und meditativer. Die Geschichten sind zudem irgendwie wirklichkeitsgetreuer in der Komposition des Johannes erzählt. Das Evangelium hat mehr die Form einer Art Denkschrift, einer Nachdenkschrift als die eines Evangeliums. Es geht Johannes um die Souveränität Jesus als die wesentliche Zukunft Gottes; für uns Menschen.

Johannes versucht uns zu vermitteln, mit welcher Klarheit, Gelassenheit und Zielstrebigkeit Jesus im Leben gegenüber allen und allem aufgetreten ist, weil die Botschaft lautet: Die Tradition, das Gesetz, das Erlernte ist von GESTERN, aber Gott ist ZUKUNFT.

In unserem heutigen Predigttext wird das mit dem Bild der Wohnungen und des Ortes beschrieben, wo Jesus hingeht und wir von ihm mitgenommen werden. Es ist KEIN ORT der Eindeutigkeit, der Klarheit oder der mathematischen Gewissheit, dass 1+1=2 ist. Es ist ein gänzlich anderer Ort, den wir zwar erkennen, der aber nicht das Erkennen der menschlichen Weisheit, also unser gewolltes Verstehen zum Ziel hat.

Unser menschliches Verstehen – hier am Beispiel des Jüngers Thomas, der ja auch als der ungläubige Thomas bei der Auferstehung gilt – ist  mit seinem Verhalten dargestellt. Wir verstehen NICHT. Nicht – Nicht nichts!

Wir verstehen NICHT, was Jesus nach Johannes erzählt. Wie sollte man auch etwas verstehen, wenn man es bisher nicht per Augen, Hände, Ohren Mund oder wie auch immer erlebt hat? Wie sollten wir Gott verstehen wollen oder können? Wir verstehen NICHT.

3.      Christus – der Weg und das Ziel

Letztlich ist genau dies die Botschaft des Predigttextes, der Jahreslosung und des Evangeliums überhaupt. Du weißt nichts zu Gottes Heilplan. Und du verstehst nicht, was Christus für dich und deine Zukunft tut.

Alles rennen, denken, horten, lieben, schuften, sehnen, fühlen, hoffen oder geben, wird im Angesicht des Evangeliums ein NICHT-Verstehen und NICHT-Können.

Denn darin liegt es gerade offenkundig, das Neue im Evangelium, eben die Bereitschaft des Menschen zum NICHT-Verstehen nötig ist, um die Zukunft bei Gott zu erlangen. Weisheit, Glaube, Liebe, Zukunft kann nicht erzwungen werden, sondern man muss bereit sein, es in sein Leben treten zu lassen. Ich glaube, hilf meinem Unglauben – so wie der Vater des besessenen Knaben, der letztlich in alles Wissen, Können und Sehnen seine Hoffnung gesetzt hat. Nur so wir all das Wissen von Weisheit, das Spüren von Glück, das Erfassen von Hoffnung möglich – als Bereit zu sein und nicht zwanghaft es herbei zwingen zu wollen.

Jesus als seinen Heiland anzunehmen, bedeutet nicht nichts tun, sondern fordert uns auf das Nicht-Verstehen in uns zuzulassen. Was auch immer Gott tut, oder fordert, oder schweigt, liegt damit in dieser Weisheit verborgen.

4.      Heute

Seid ihr bereit, nicht zu wissen, nicht zu glauben, nicht zu hoffen – wenn es um dein eigenes Leben geht? Bereit für das Nicht-Verstehen?

Die Suche nach dem besseren Leben – so Popper – führt über das Finden der Mängel und Fehler und zwar so, dass der anderer mit uns gemeinsam sich der Wahrheit nähert.

Wir wissen – wie Sokrates – nicht, was uns erwartet hinter der Verpackung, die wir um unser Leben schlingen.

In Christus ist uns aber zugesagt, dass die geistlich schwachen, also die, die nicht jedes Wort „goldabwiegen“, letztlich eine hohe Befähigung haben, seine Wohnungen mit ihm zu finden.

Alles was nötig ist, ist dieses Ambivalenz, die Zwiespältigkeit dem eigenen Leben eine weitere Chance zu geben, die da heißt: Jesus Christus.

Nicht mehr und nicht weniger hat den besessenen Knaben geheilt, die Jünger, Thomas und uns verwirrt; und uns in die unbekannte Gegend geführt, die allein durch den Weg Christi begehbar wird:

Ich bin der Weg. Ich bin die Wahrheit. Ich bin das Leben spricht Christus. Denn ich allein kann euer Wegbereiter sein; auch im neuen 2020.

Amen.

Herr schenke uns die Einsicht, dass du führst und wir dir folgen dürfen.

AMEN.

 


 

Johannes 14. 1-6

NEÜ

1 "Lasst euch nicht in Verwirrung bringen. Glaubt an Gott und glaubt auch an mich!

2 Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen. Wenn es nicht so wäre, dann hätte ich es euch gesagt. Ich gehe jetzt voraus, um einen Platz für euch vorzubereiten.

3 Und wenn ich dann alles vorbereitet habe, komme ich zurück und werde euch zu mir holen, damit auch ihr da seid, wo ich bin.

4 Den Weg dorthin kennt ihr ja."

5 "Herr", sagte Thomas, "wir wissen nicht einmal, wo du hingehst. Wie sollen wir da den Weg kennen?"

6 "Ich bin der Weg!", antwortete Jesus. "Ich bin die Wahrheit und das Leben! Zum Vater kommt man nur durch mich.

 

Luther 2017

 

1Μὴ ταρασσέσθω ὑμῶν ἡ καρδία· πιστεύετε εἰς τὸν θεὸν καὶ εἰς ἐμὲ πιστεύετε.

2ἐν τῇ οἰκίᾳ τοῦ πατρός μου μοναὶ πολλαί εἰσιν· εἰ δὲ μή, εἶπον ἂν ὑμῖν ὅτι πορεύομαι ἑτοιμάσαι τόπον ὑμῖν;

3καὶ ἐὰν πορευθῶ καὶ ἑτοιμάσω τόπον ὑμῖν, πάλιν ἔρχομαι καὶ παραλήμψομαι ὑμᾶς πρὸς ἐμαυτόν, ἵνα ὅπου εἰμὶ ἐγὼ καὶ ὑμεῖς ἦτε.

4καὶ ὅπου [ἐγὼ] ὑπάγω οἴδατε τὴν ὁδόν.

5Λέγει αὐτῷ Θωμᾶς· κύριε, οὐκ οἴδαμεν ποῦ ὑπάγεις· πῶς δυνάμεθα τὴν ὁδὸν εἰδέναι;

6λέγει αὐτῷ [ὁ] Ἰησοῦς· ἐγώ εἰμι ἡ ὁδὸς καὶ ἡ ἀλήθεια καὶ ἡ ζωή· οὐδεὶς ἔρχεται πρὸς τὸν πατέρα εἰ μὴ δι’ ἐμοῦ.