25.06.2018 (Lk 10 +1. Mose 4, 1-16a): Freier Wille – freiwillig? (Hier zum Video)

Zwei Texte ein Thema.

 

Evangelium: Lukas 10, 25-37

Die Frage nach dem ewigen Leben.
Gleichnis: Der barmherzige Samariter

25 Und siehe, da stand ein Gesetzeslehrer auf, versuchte ihn und sprach: Meister, was muss ich tun, dass ich das ewige Leben ererbe?

26 Er aber sprach zu ihm: Was steht im Gesetz geschrieben? Was liest du?

27 Er antwortete und sprach: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft und deinem ganzen Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst« (5. Mose 6,5; 3. Mose 19,18).

28 Er aber sprach zu ihm: Du hast recht geantwortet; tu das, so wirst du leben.

29 Er aber wollte sich selbst rechtfertigen und sprach zu Jesus: Wer ist denn mein Nächster?

30 Da antwortete Jesus und sprach: Es war ein Mensch, der ging von Jerusalem hinab nach Jericho und fiel unter die Räuber; die zogen ihn aus und schlugen ihn und machten sich davon und ließen ihn halb tot liegen.

31 Es traf sich aber, dass ein Priester dieselbe Straße hinabzog; und als er ihn sah, ging er vorüber.

32 Desgleichen auch ein Levit: Als er zu der Stelle kam und ihn sah, ging er vorüber.

33 Ein Samariter aber, der auf der Reise war, kam dahin; und als er ihn sah, jammerte es ihn;

34 und er ging zu ihm, goss Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie ihm, hob ihn auf sein Tier und brachte ihn in eine Herberge und pflegte ihn.

35 Am nächsten Tag zog er zwei Silbergroschen heraus, gab sie dem Wirt und sprach: Pflege ihn; und wenn du mehr ausgibst, will ich dir's bezahlen, wenn ich wiederkomme.

36 Wer von diesen dreien, meinst du, ist der Nächste geworden dem, der unter die Räuber gefallen war?

37 Er sprach: Der die Barmherzigkeit an ihm tat. Da sprach Jesus zu ihm: So geh hin und tu desgleichen!


 

Predigttext 1. Mose 4, 1-16, 25f

Kain ermordet seinen Bruder Abel, weil ….?

1      Und Adam erkannte seine Frau Eva, und sie ward schwanger und gebar den Kain und sprach: Ich habe einen Mann gewonnen mithilfe des HERRN.

2      Danach gebar sie Abel, seinen Bruder. Und Abel wurde ein Schäfer, Kain aber wurde ein Ackermann.

3      Es begab sich aber nach etlicher Zeit, dass Kain dem HERRN Opfer brachte von den Früchten des Feldes.

4      Und auch Abel brachte von den Erstlingen seiner Herde und von ihrem Fett. Und der HERR sah gnädig an Abel und sein Opfer,

5      aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an. Da ergrimmte Kain sehr und senkte finster seinen Blick.

6      Da sprach der HERR zu Kain: Warum ergrimmst du? Und warum senkst du deinen Blick?

7      Ist's nicht so: Wenn du fromm bist, so kannst du frei den Blick erheben. Bist du aber nicht fromm, so lauert die Sünde vor der Tür, und nach dir hat sie Verlangen; du aber herrsche über sie.

8      Da sprach Kain zu seinem Bruder Abel: Lass uns aufs Feld gehen! Und es begab sich, als sie auf dem Felde waren, erhob sich Kain wider seinen Bruder Abel und schlug ihn tot.

9      Da sprach der HERR zu Kain: Wo ist dein Bruder Abel? Er sprach: Ich weiß nicht; soll ich meines Bruders Hüter sein?

10    Er aber sprach: Was hast du getan? Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit zu mir von der Erde.

11    Und nun: Verflucht seist du auf der Erde, die ihr Maul hat aufgetan und deines Bruders Blut von deinen Händen empfangen.

12    Wenn du den Acker bebauen wirst, soll er dir hinfort seinen Ertrag nicht geben. Unstet und flüchtig sollst du sein auf Erden.

13    Kain aber sprach zu dem HERRN: Meine Strafe ist zu schwer, als dass ich sie tragen könnte.

14    Siehe, du treibst mich heute vom Acker, und ich muss mich vor deinem Angesicht verbergen und muss unstet und flüchtig sein auf Erden. So wird mir's gehen, dass mich totschlägt, wer mich findet.

15    Aber der HERR sprach zu ihm: Nein, sondern wer Kain totschlägt, das soll siebenfältig gerächt werden. Und der HERR machte ein Zeichen an Kain, dass ihn niemand erschlüge, der ihn fände.

16    So ging Kain hinweg von dem Angesicht des HERRN und wohnte im Lande Nod, jenseits von Eden, gegen Osten.

….

25    Adam erkannte abermals seine Frau, und sie gebar einen Sohn, den nannte sie Set: »Denn Gott hat mir einen andern Sohn gegeben für Abel, den Kain erschlagen hat.«

26    Und auch dem Set wurde ein Sohn geboren, den nannte er Enosch. Zu der Zeit fing man an, den Namen des HERRN anzurufen.

 

 

1.      Einleitung

Heute stellt sich die Frage nach dem freien Willen des Menschen und vor allem nach dem Verhalten und Handeln des Menschen.

Verhalten – das bedeutet sich zu einer Sache, einem Ereignis, einem Erlebnis oder sich selbst und seinen Emotionen zu stellen und zu handeln. Nicht jedes Verhalten, nicht jede Handlung von Menschen ist gut, richtig oder angemessen. Verhalten oder eine Handlung kann auch passiv sein, in dem wir uns wegdrehen, nichts machen.

Zunächst: Was ist eigentlich der „freier Wille“? Zunächst nur ein Begriff!

Und wie dieser Begriff des freien Willens besetzt wird, da gehen die Theorien und Ansichten weit auseinander. So trat beispielsweise Martin Luther dem zeitgenössischen Hauptphilosophen Erasmus von Rotterdam entgegen. Der hatte den freien Willen bzw. die frei Wahlmöglichkeit (arbitrio) des Menschen (de libero arbitrio) im September 1524 ausgerufen.

Luther führt in einer umfassenden Schrift sein Model des „geknechten Willens, der unfreien Wahlmöglichkeit“ aus (de servo arbitrio, Dez. 1525; hier der Text komplett auf Deutsch).

Der Mensch – so schrieb Luther im Schicksalsjahr 1525 (Bauerkriege, Heirat, endgültige Lösung von Kath. Kirche) heftig gegen Erasmus - sei gänzlich unfrei im Blick auf sein Handeln Gott gegenüber. Er könne sich nicht selbst die Gnade erwählen oder diese „verdienen“.

Bis heute ist in dieser Debatte nicht hinreichend geklärt, ob der Mensch in gewissen Bezügen unfrei, also nicht wahlfrei handeln könne, oder ob er doch komplett freien Willens sei. Denn nicht immer sind Aus-Wahlen, die wir für Handlungen treffen letztlich wirklich frei, sondern nur eine Wahl von schon vorgegebenen, also eingeschränkten Optionen.

Welchen Weg ich auf der Autobahn wähle ist frei und doch unfrei vorgegeben durch den Teer und die Begrenzungen der Fahrtstrecke.

Umgangssprachlich ist das frei, wo ich eine Wahlmöglichkeit ohne äußeren Zwang ausführen kann. Nehme ich den linken oder rechten Weg, Wohin fahre ich in Urlaub, welche Partei wähle ich oder was schenke ich meinem Partner oder Enkel zum Geburtstag.

Und dennoch bleiben viele Handlungen, die wir tun oder unterlassen, immer Wahlen, die einer vorgegeben Auswahl oder sogar Zwängen unterliegen. Freier Wille – freie Handlung wird somit immer zu einer bedingten Freiheit der Auswahl, bei der Faktoren eine Rolle spielen, die die Wahl wieder einengen. Sich frei zu entscheiden, bleibt dabei immer eine höchst komplexe Angelegenheit; vor allem dann, wenn wir eher schwerwiegende Verhaltensmuster beurteilen müssen.

Darf sich ein Mensch aus freien Stücken verhungern und verdursten – wie wir am Mittwoch beim Hospiztag besprochen haben?

Darf man – aufgrund der Meinungsfreiheit – andere Menschen und deren Leben zerstören?

Darf es –  bewusst nun mal für uns extremere Beispiele - Sex mit Gleichgeschlechtlichen, mit Minderjährigen also unter 18 oder früher unter 21 Jahren oder mit geistig zurück Gebliebenen geben? Darf man töten, aus Lust oder auf Verlangen? Ich meine hier, um Tiere zum essen? Darf man Menschen töten? Zur Verteidigung, zur Lustbefriedigung oder auch aus Zorn oder Rage oder aus Wut für eine Ablehnung? Wo sind die Grenzen oder Notwendigkeiten, die sich aus einer Auswahlmöglichkeit ergeben. Wie ist das mit dem  Instinkt-Handeln und dem freien Handeln?

Es scheint eine moralische, ethische Instanz in uns zu geben. Was man weiß ist, dass das moralische Gewissen des Menschen im Frontallappen des Gehirns angesiedelt ist; also einfach ausgedrückt: hinter der Stirn. Insofern ist das Tippen an die Stirn auch ein durchaus berechtigtes Symbol, ob der Frontallappen, also das Gewissen, noch richtig funktioniert.Menschen, die Teile des Frontallappens durch Unfall verlieren, verändern Ihr bisheriger guter Wille zum bösen, auch ihr böses Verhalten zu gutem. Und wenn dem so wäre, dass wir aufgrund unseres Gehirn schon bei den Handlungen gepolt sind, können wir dann wirklich frei handeln, richtig falsch unterscheiden; verantwortlich für das eigene Handeln sein?

2.      Bibeltext

Ich will heute für diese Frage ZWEI Texte für die Predigt nutzen.

2.1 Ewiges Leben: Der eben gelesene Evangeliumstext, gemeinhin und fehlerhaft „barmherziger Samariter“ überschrieben, beschreibt auch ein solche Frage des freien Willens und des daraus folgenden  Verhaltens.

Die Gesetze, welche die wichtiges Verhaltensregeln im Judentum zurzeit Jesu darstellten, lauten: „Gott lieben und den Nächsten“; ABER lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, mit all deiner Kraft und deinem ganzen Gemüt. « (5. Mose 6,5 / 3. Mose 19,18). (Keins der 10 Gebote!)

Das Gleichnis – als die erfundene Geschichte – Jesu macht deutlich: Jesus geht es um das TUN („TU DAS!“): Also liebe mit allem, was du bist und hast und dich ausmacht! Und dieses stimmige Tun des Menschen mit sich selbst setzt, so will Jesus mit dem „Gleichnis der falschen und richtigen Handelns in Notsituationen anderer“ klarstellen, immer auch die Frage, nach dem Menschen und der Willensbildung zum Handeln voraus.

Wer denkt, handelt noch nicht. Wer handelt, hat schon gedacht. Und WAHRNEHMEN spielt die wesentliche Rolle; ebenso wie das eigene Gemüt, also der Verstand, mit dem Jammern, das nur der Samaritaner zeigt. Neurophysiologisch spielen da die sogenannten Spiegelneuronen eine Rolle. Kurz: Wenn ich Schmerz „sehen“ kann, fühle ich selbst Schmerz – es jammert mich wie den Samaritaner. Wenn ich Schmerz nicht sehen kann und nicht fühlen kann, kann ich auch diesen nicht deuten. Wahrnehmung als eigenes Empfinden wird also zu einem wesentlichen Aspekte des Verhaltens, der Willens und Handelns.

2.2 Kains Verhalten, sein Mord und sein Zeichen

Die Geschichte von Kain und Abel muss ich nicht vorlesen. Er steht auf dem Zettel. Ich mache es mal provokant kurz: >Gott verschmäht das Opfer mit Feldfrüchten des Ackerbauern Kain und wendet sich dem tierischen Fett der Opfer von Abel zu. Kain ist wütend und durch die Vorhaltungen von Gott rastet er aus und erschlägt seinen Bruder Abel.<

Ungeachtet der Frage, ob Gott mehr dem vegetarischen oder mehr dem Fleisch-Esser zuneigt, bleibt bei der Geschichte ein Bauchgrimmen. Es ist schließlich Gott, der die Reaktion auslöst, die zum Morden führt. Viele Theologen versuchen in diese unvollständige Sage der beiden ersten natürlich geborenen Menschen Gott zu retten? Warum?

Letztlich geht es um die Frage und einen Test, den Kain nicht besteht und Abel mit dem Leben bezahlt. Der freie Wille, die Gewissensentscheidung im Frontallappen des Kain führt im Test zu Gewalt und Zerstörung. Hier – und das ist das wesentliche der Sage um Kain und Abel – hat die Sünde ihren Namen her. Nicht aus der Geschichte im Paradies. Hier ist die Frage der Auswirkung des freien Willens mit Konsequenzen erstmals in der Komposition des Alten Testaments eingefügt. Vergessen sollten wir die Erkenntnisfrage im Garten Eden. Außerhalb des Garten Edens spielt die Musik mit der Entscheidungs-, Wahl- und Handlungsfreiheit. Denn was soll diese Geschichte anderes ausdrücken als dies: Provoziert und plötzlich in eine besondere Situation gestellt, hat der Mensch ein Entscheidungsdilemma. Er muss das Verlangen als Instinktwesen und sein Verhalten als nun freies Wesen in Einklang bringen.

Man könnte auch sagen: Gottes Feldversuch scheitert kläglich.

Der umherziehende Nomadenviehhirt Abel wird vom grundbesitzenden Ackerbauern Kain seinem Boden einverleibt; im wahrsten Sinne des Wortes: blutig ermordet. Der Boden saugt gierig das Blut des Bruders auf. Feldversuch durchgeführt; Proband gescheitert. Und weil es ein Versuch, eine Laborsituation Gottes war, gibt es einen Hinweis auf die Verbindung zwischen Willen, Denken, Emotionen und Handeln: das Zeichen an der Stirn, das Mal des Kain um aller Welt deutlich zu machen, wo letztlich das freie Handeln, das Verhalten, die Instanz der Entscheidung verbunden wird; im Frontallappen des Gehirns. Das Zeichen Kains oder heute das Tippen ist letztlich nur ein Hinweis. Achtung: Instinkt kann über Freiheit entscheiden und Verantwortung fordern.

3.      Christus

Als Christen, als Evangelische tritt nun die Bedeutung des „Gleichnisses um falsches und richtiges Verhalten in Notsituationen“ vollends zu Tage. Das Wahrnehmen ist der notwendige Schlüssel zum freien Willen. Denn erst die Wahrnahme des Anderen (in Not) löst auch Jammern und Selbstbedauern aus. Also: das Lieben von Herzen mit aller Kraft und Verstand. Wie bei diesem erfundenen Beispiel Jesu eines für Israeliten eher drittrangigen Menschentyps, dem Samaritaner.

4.      Heute

Wesentlich wird damit das Einüben der Freiheit und des Verhaltens, des Liebens, des Kümmerns, des gemütlichen, also verstehenden Miteinanders. Kain – lerne mit deinem Mal (3x tippen an die Stirn): Mensch nehme wahr; den Anderen und das andere in dir.

Und so wir das Wort „Sünde“ als ererbte Sünde zur Frage des freien Willens und die Fähigkeit, Instinkt und Verhalten abzuwägen. Diese ererbte Fähigkeit ist das Mal der Sünde, also die Hybris des Menschen, sich als Gott aufzuspielen. Wir tragen es in uns. Wir sind diesem ausgeliefert. Weil wir niemals dem Instinkt, dem Nicht-Beachten, dem Vor­beischauen, Weggehen oder Darübersehen werden entsagen können.

Deshalb – wie bei Kain - will Gott in Christus dieses urmenschlichste aller Dinge nicht mehr als Sünde als Fehlverhalten ansehen. Die falsche Entscheidung des Instinkts bleibt wohl uns als immer auferlegte Last bestehen; wie auch die richtige Instinkthaltung. Denn wissen wir, ob der Pfarrer (Priester) gerade schnell zum Gottesdienst musste oder der Küster (Levit) alles für die Taufe vorbereiten sollte oder an das Bett des Sterbenden eilt? Der Samaritaner nimmt wahr und jammert mit. Er sieht mit dem eigenen Herzen, mit seinen Fähigkeit, seinem Verstand. Er lässt das Gemüt wirken. Das Mal, das Zeichen des Samaritaners lässt seine Stirn runzeln, wie das heute noch ist, wenn wir kritisch Verhalten, Aussage oder Erlebnisse wie Kain oder der Samariter begutachten, bewerten.So wie Kain mit einem Stirnmal ausgezeichnet ist; wie der Samaritaner wahrnimmt und runzelt, so ist es unsere Aufgabe unserem Instinkt und unserem Verhalten das Wahrnehmen hinzuzufügen. Und, Freunde, das kann gelernt werden. Denn wir werden nicht verdammt für die Tat des falschen Instinktes – wie Kain – weil Christus uns vorsteht.

Amen.

 

Herr, gib Kraft für den klaren Blick, für das Gemüt, den Verstand und das eigene Jammern, damit wir Wahrnehmen. Hilf Handeln. Amen.